Potosi – eine Stadt wie sie „leibt“ und „lebt“

Veröffentlicht in: Christoph, Jakob N | 1

Von Potosí runter auf 4.090m

In einer 5-stündigen Busfahrt geht es von Oruro Richtung Potosí. Mit einem Hans Eder (Direktor von INTERSOL) im Gepäck, werden einem die Landschaft und die vielen verschiedenen Orte etwas genauer erläutert. Von kritischen Einblicken in die „Umweltverschmutzungs-Anlagen“ bis hin zu überaus interessanten Geschichten, vergeht auch die Busfahrt wie im Flug.


Exkurs: In ganz Südamerika wird Chile als das unbeliebteste Land dargestellt. Auch in Bolivien wird beim Thema „Chile“ nicht unbedingt in hohen Tönen von jenem Land gesprochen. Dies hat folgende Gründe:

1. Ungefähr im Jahre 1870 hatte Bolivien noch eine etwas andere „Kartografie“ vorzuweisen. Bolivien hatte in jenem Jahr einen Meerzugang. Zu dieser Zeit waren auf bolivianischem Boden chilenische Gutsherren beheimatet, die sich ihrer Wirtschaft hingaben. Prinzipiell nicht weiter schlimm, solange der Chilene Steuern an den Staat Bolivien abführt. Dies hatte auch für eine gewisse Zeit erfolgreich funktioniert, jedoch nicht für immer. Die Chilenen weigerten sich eines Tages, weiterhin Steuern an Bolivien zu entrichten. Als Bolivien wiederholt gedroht hatte, mit militärischen Hilfsmitteln die Chilenen zu vertreiben, brach ein Krieg aus. Lange Rede, kurzer Sinn: Bolivien verlor den Krieg und  somit auch den Meerzugang. Eine Niederlage von kaum messbarem Wert.Auch heute noch wünscht sich Präsident Evo Morales diesen Meerzugang zurück. Verständlich, wenn man die wirtschaftlichen Vorteile in Betracht zieht. Die Chilenen allerdings lassen nur sehr erschwert mit sich reden. Folgend klagte Morales beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Chile hat den Antrag immerhin angenommen, was einer „In-Kenntnisnahme“ gleichkommt. Ein kleiner Schritt nach vorne, zumindest aus der Sicht Boliviens. In Österreich wäre so ein Vorhaben kaum vorstellbar, würde Fischer oder Faymann mit Italien in Verhandlungen über einen möglichen Meerzugang stehen.Übrigens: Bolivien hat weltweit die größte Marine eines Binnenstaates. Schließlich muss der Titicacasee auch geschützt werden!

2. Auf dem Weg Richtung Potosí kann man am Wegesrand immer wieder die Gleise eines veralteten Bahnnetzes entdecken. Vor Jahren gehörte dieses Bahnnetz dem Bolivianischen Staat. Ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor, ebnete es doch den Weg nach Chile. Aus Mangel an finanziellen Mitteln wurde das Bahnnetz privatisiert. Chilenische Investoren kauften das Bahnnetz auf. Im ersten Moment ein Freudentag für Bolivien, konnte dadurch doch weiterhin die Fortbestehung des Eisenbahnnetzes garantiert werden.Chile hingegen hatte andere Pläne und legte das Eisenbahnnetz still. Somit wurde der Staat Bolivien mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Noch heute ist der Verlust dieses Netzes, in der Wirtschaft Boliviens (dem ärmsten Land Südamerikas), erkennbar.

Vielleicht, liebe/r Leser/in, ist es jetzt ein bisschen verständlicher, warum denn ausgerechnet Chile als nicht unbedingt beliebt in Bolivien gilt.


Zurück zur Reise

In Potosí angekommen, wurden wir von Ibeth (Direktorin MUSOL*) empfangen.

*MUSOL (=Soladirad con las Mujeres) – Kooperationspartner von INTERSOL; kümmert sich um Bergarbeiterwitwen und deren Familien. Versucht durch Projekte und Bildung die Kinder der Bergarbeiterfamilien von der Arbeit im Berg und dem damit verbundenen körperlichen Leiden fernzuhalten.

Einer der ersten Eindrücke Potosís war der beeindruckende „Cerro Rico“ (=reicher Hügel). Schon vor Jahrhunderten wurde der Cerro Rico geschürft, geformt und abgebaut. Ein Berg von ~4785m Höhe. Bolivianer erzählen, dass er früher um bis zu 300m höher gewesen sein soll. Durch den Einsturz von Minen und den Abbau von Gestein allerdings immer wieder an Höhe verliere. Jener Berg prägt das Stadtbild von Potosí wie der Eifelturm jenes von Paris. Apropos Paris, durch die Vielfalt und gewaltige Menge an wichtigen und teuren Mineralien war Potosí im 16ten Jahrhundert die reichste Stadt der Welt, vor Paris oder London. Einerseits beeindruckend, was ein Berg für eine Stadt bedeuten kann, andererseits traurig, noch niemals von dieser Stadt gehört zu haben – hat sie doch eine überaus wichtige Bedeutung. Heute ist jedoch nur noch wenig vom Reichtum dieser Zeit zu erkennen. Nur im Zentrum Potosís erzählen prachtvolle Kirchen vom Glück vergangener Tage.

Die Stadt Potosí ist an das Gebirge angepasst, sprich die Straßen ähneln so manches Mal dem Baustil kalifornischer „Cable-Cars“. Nicht unbedingt ideal für die Bewohner und Busse Potosís. Denn wenn sich ein Bus bergaufwärts begibt, wird es Zeit die Luft anzuhalten. Wir haben uns des Öfteren gefragt, ob diese Busse denn überhaupt einen Katalysator besitzen. Schwarzer Rauch und dröhnender Lärm ist demnach Bestandteil der Bergbau-Stadt. Man fragt sich also gelegentlich, wozu es in Europa „Klimaschutz-Bewegungen“ gibt, verglichen mit dem Alltag hier. Tatsache ist, dass Bolivien und vermutlich ganz Südamerika, beispielsweise im Verkehr, zumeist die von uns schon aussortierten Bestandteile verwenden. Dass dies nicht unbedingt hilfreich sein kann um den Klimawandel hinauszuzögern, ist logisch. Potenzial für eine alternative Energieform wäre zu genüge vorhanden, bei 320 Sonnentage im Jahr.

Cerro Rico

Bei der Besteigung des Cerro Ricos wird einem bewusst, welche Ausmaße die Bearbeitung eines Berges annehmen kann. Alle 100m stoßen wir auf Mineneingänge – teilweise verlassen, teilweise aktiv. Auf dem Weg zur Spitze kann man die beeindruckende Arbeit der „Mineiros“ (=Minenarbeiter) beobachten. Mit „Hunts“ (=Förderwägen), welche an alte Westernfilme erinnern, Hammer und Meißel sowie selbstgebasteltem Dynamit wird hier am Cerro Rico zu Werke gegangen. Man kommt sich vor wie in einer Zeitmaschine, 100-200 Jahre zurückgedreht. Hier gibt es weder Investitionen für Sicherheit oder Gesundheit. Berührend, wenn man sich überlegt welches Schicksal diese Menschen zu ertragen haben, währenddessen man sich in Europa Autos und sogar ganze Fußballstadien (siehe Red Bull Arena, Salzburg) verzinken lässt. Und woher kommt dieses Zink? Eben genau von jenen Orten, wo man eigentlich nur von unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen sprechen kann.In Potosí gibt es die sogenannten „Guardabocaminas“, welche sich um die Bewachung der Eingänge der Minen kümmern. (Anm.: In den Minen Potosís ist für Frauen der Eintritt verboten; dies bringt Unglück und könnte den Teufel, der in den Tiefen der Minen haust, verärgern.) Dazu gehören auch „Palliris“ (=Steinklopferinnen), welche ihren Lebensunterhalt ausschließlich durch die Zerteilung von Steinen verdienen. Arm an Vermögen, doch umso stärker an Lebenskraft und Selbstbewusstsein. Bei diversen Treffen von MUSOL/INTERSOL und den genannten Damen, wurde uns die Ehre zuteil, diese näher kennen zu lernen. Eine beeindruckende Schicht von Menschen, welche sich selten etwas gefallen lässt.

Ausflug nach Porco

An einem der 5 Tage in Potosí war es an der Zeit, den 180.000 Einwohnern der Stadt den Rücken zu kehren um ins ungefähr 50km entfernte Porco zu fahren. Nach einer 1 ½ h stündigen Autofahrt mit dem öffentlichen „Truffi“ (Kleintransporter) für 10 Bolivianos (~1,30€), gemeinsam mit 17 anderen zur Arbeit fahrenden Bolivianern versteht sich, trafen wir schlussendlich aber doch am Zielort ein.Porco ist ein Dorf mit rund 5.287 Einwohnern, welches ebenso nahezu ausschließlich vom Bergbau profitiert. In Porco angekommen nahmen wir an einer Besprechung mit dem Bürgermeister und diversen Assistenten teil. Zum einen wurden wir herzlichst zum nächsten Dorffest eingeladen, zum anderen auch in diverse Projekte eingeleitet. Eine durchaus erfolgreiche Besprechung!Nach Abschluss der Formalitäten und der Verspeisung von Salteñas (einer bolivianisch/argentinischen Spezialität), nahm uns der Bürgermeister zu einer kleinen Tour durch das Bergwerksgelände mit. Beim Eingang des Bergwerkgeländes waren wir uns dann einig, dass dies das erste und vermutlich wohl auch letzte Bergwerk mit einem Schild für Sicherheitsvorkehrungen sein würde. Während der Vorstellung des Bergwerkes, fällt auch das Wort GLENCOR. Ein Schweizer Unternehmen, welches im Bergbau tätig ist und für so manche Umweltverschmutzung Verantwortung zu tragen hat. Im Bergwerksgelände hat GLENCOR eine Anlage für den Bergbau errichtet. Wo der bolivianische Bergarbeiter noch mit Dynamit, Bohrmaschinen und den bloßen Händen arbeitet, verwendet GLENCOR eigens für den Bergbau angefertigte Maschinen, welche den Berg bearbeiten. Hoch lebe der Profit…


Alles in Allem ist Potosí eine Stadt mit Geschichte von enormem Ausmaß. Goldene Zeiten von vergangenen Tagen sind längst vorüber und auch gegenwärtig muss sich Potosí immer wieder der Schikane der Regierung Boliviens ergeben. Die Vorgehensweise dieser im Umgang mit der Stadt deutet sehr daraufhin, dass Evo Morales vorhabe, die Stadt langsam aber sicher ihrem Schicksal zu überlassen. Man bekommt demnach ein wenig das Gefühl, in einer zukünftigen Geisterstadt zu vegetieren – immerhin wird der Reichtum des Berges nicht mehr.So wie es auch schon in Österreich vorgefallen ist, dass Bergarbeiter nach Abbau des Reichtums siedeln mussten, ist es wohl auch in Potosí nur eine Frage der Zeit. Ganz so einfach wollen sich dies die Bürger Potosís aber nicht gefallen lassen. Gerade vor ~4 Wochen gab es hier nämlich einen Streik. Die Minenarbeiter gingen auf die Straße und ließen ihrer Wut über die Regierung freien Lauf.

Verständlich, wenn eine Stadt von der Regierung derart im Stich gelassen wird. Während unseres Aufenthalts in Potosí hatten wir auch ein Treffen mit dem Oberhaupt der Demonstrationsbewegung, welcher uns diverse und durchaus spannende Einblicke gewährte. 26 Punkte stehen auf der Forderungsliste dieser Bewegung, zurzeit wird vom Präsidenten Morales allerdings kein Gespräch gewährt. Zu den außergewöhnlichsten Punkten gehört wohl die Forderung eines internationalen Flughafens für Potosí. Das Argument: Tourismus ankurbeln. Allerdings eine utopische Vorstellung, um die Stadt an die goldenen Zeiten von damals wieder anzuknüpfen. Ist doch die Umweltverschmutzung massivst und Angebote für Touristen gibt es ebenso nur bedingt. Der Flughafen alleine würde demnach kaum Argument genug für Touristen sein, um sie davon zu überzeugen, ihren Urlaub in dieser Bergarbeiterstadt zu verbringen.

Hasta luego

Jakob N 

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